Dateien gelöscht – Besitzwillen weg?

Fehlender Besitzwillen nach Löschung einer Datei

Im Rahmen einer Strafverteidigung kommt man als Rechtsanwalt oftmals nicht ohne eine spitzfindige Argumentation aus. Dieses Verhalten wird von der Staatsanwaltschaft als reine Haarspalterei abgetan. Folgender Fall soll aber verdeutlichen, dass Genauigkeit der Schlüssel zum Erfolg sein kann.

Der Fall:

Der frühere Soldat habe im Jahre 2014 eine Beziehung mit der Zeugin S. gehabt. Nach der Trennung habe er ihr vorübergehend seinen Laptop überlassen, auf dem sich ihre Bewerbungsunterlagen befunden hätten. Beim Herunterladen dieser Dateien seien ihr im Ordner “Papierkorb” Dateien aufgefallen, deren Namen auf kinderpornografische Inhalte hingedeutet hätten. Sie habe die Dateinamen fotografiert, die Dateien gelöscht und die Fotos der Dateinamen auf einem USB-Stick bei der Polizei abgegeben.

Das Urteil des Amtsgericht in der ersten Instanz:

Bei einer daraufhin erfolgten Durchsuchung der Wohnung des früheren Soldaten sei eine externe Festplatte mit acht kinderpornografischen Videodateien und einem jugendpornografischen Video gefunden worden. Die kinderpornografischen Dateien seien am 4. Februar bzw. 4. Oktober 2010 auf der Festplatte gespeichert bzw. darauf erzeugt worden. Zuletzt sei am 10. August 2012 auf die Dateien zugegriffen worden. Das Amtsgericht habe gegen den Soldaten mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 25. Juni 2015 wegen des Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften gemäß § 184b Abs. 4 Satz 2 und § 184c Abs. 4 Satz 1 StGB eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 Euro verhängt.

Das Rechtsmittel der Berufung:

Für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals “besitzen” i. S. d. § 184b Abs. 4 Satz 2 und § 184c Abs. 4 Satz 1 StGB kann auf die Rechtsprechung zu § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG zurückgegriffen werden (vgl. BT-Drucks. 12/3001, S. 6 zu § 184 Abs. 5 StGB a.F.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt Besitz i.S.d. Betäubungsmittelgesetzes ein tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis und einen Besitzwillen voraus, der darauf gerichtet ist, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf die Sache zu erhalten (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2016 – 1 StR 492/15 – BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Menge 24 Rn. 48). Bei Dateien entfällt der Besitz, wenn sie vollständig gelöscht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2006 – 1 StR 430/06 –  und Beschluss vom 25. September 2018 – 3 StR 113/18 ). Bestehen gelöschte Dateien an einem Speicherort fort, die dem durchschnittlichen Computerbesitzer nicht mehr ohne Weiteres zugänglich sind, so begründet dies mangels Aufrechterhaltung eines tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ebenfalls keinen Besitz mehr; dies gilt selbst dann, wenn die betreffende Person über die Kenntnis und Fähigkeit verfügt, sie wiederherzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2018 – 3 StR 113/18). Zudem kann im Fall der Löschung von Dateien der diesbezügliche Besitzwille fehlen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2018 – 3 StR 113/18 ).

Ausgehend davon hat der frühere Soldat am 8. Januar 2015 in seiner Wohnung auf seiner externen Festplatte die in Rede stehenden Dateien nicht (mehr) in Besitz gehabt. Nach der Aussage des sachkundigen Zeugen P. und den dokumentierten Erzeugungs- und Änderungsdaten der Dateien auf der externen Festplatte des früheren Soldaten und auf seinem Laptop ist der Senat davon überzeugt, dass er die Originaldateien Nrn. 2, 3 und 4 auf seiner externen Festplatte über seinen daran angeschlossenen Laptop vor dem 8. Januar 2015 gelöscht hat. Mit der Löschung wurden diese Dateien auf der externen Festplatte in einen nicht mehr zugänglichen Bereich verschoben. Dabei wurden automatisch mit einem umbenannten Dateinamen (Dollarzeichen im Titel) die Dateien Nr. 6, 7 und 8 als inhaltlich identische Dubletten im “Papierkorb” der externen Festplatte erzeugt und gespeichert. Diese Dubletten hätten nur mit einer Spezialsoftware zugänglich gemacht werden können. Zeitgleich mit der Löschung auf der externen Festplatte wurden die Dateien Nr. 2, 3 und 4 automatisch mit ihren Originalbezeichnungen auf dem angeschlossenen Laptop im “Papierkorb” gespeichert, wo die Zeugin S. sie später entdeckte. Mangels Zugänglichkeit hat der frühere Soldat am 8. Januar 2015 über die Dateien Nr. 2 bis 4 und Nr. 6 bis 8 auf seiner externen Festplatte kein tatsächliches Herrschaftsverhältnis mehr ausgeübt. Zudem hat er durch die Löschung der Dateien Nr. 2 bis 4 auf der externen Festplatte in Form der Verschiebung in einen nicht mehr zugänglichen Bereich der externen Festplatte zum Ausdruck gebracht, sie auf seiner externen Festplatte nicht mehr besitzen zu wollen. Sein fehlender Besitzwille erstreckt sich auch auf die beim Löschen auf der externen Festplatte automatisch erzeugten, nur mit einer Spezialsoftware zugänglichen Dateien Nr. 6 bis 8.

Fazit:

Als Rechtsanwälte und Fachanwälte für Strafrecht legen wir Wert auf eine gesetzestreue Auslegung der Begrifflichkeiten. Auch wenn also der Begriff auf den ersten Blick schnell angenommen wird, so muss man hier sehr differenziert argumentieren.