Durchsuchung trotz Verjährung?

Anfangsverdacht angenommen trotz Verjährung

Der Fall: 

Folgender Fall hat sich abgespielt: Anfang 2019, Morgens um 6 Uhr steht die Polizei vor der Tür mit einem Durchsuchungsbeschluss (von Ende 2018): Der Tatvorwurf lautet auf Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie. Die Durchsuchungsanordnung führt auf, dass es um den Versand zweier Bilder per E-Mail aus dem Jahre 2009 geht. Der Durchsuchungsbeschluss wurde also erst 8.5 Jahre später nach dem vermeintlichen Versand einer E-Mail erlassen.

Hinsichtlich einer noch verfolgbaren Straftat vermutet der Durchsuchungsbeschluss lediglich – so auch die Formulierung -, dass der Beschuldigte”auch heute noch im Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften” sei. Worauf das Amtsgericht diese Vermutung stützt, wird nicht erläutert.

Das Problem: Die Verfolgungsverjährung

Eine mögliche, an das Versenden und den Besitz der in Rede stehenden zwei Bilddateien im Jahr 2009 anknüpfende Straftat war zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses im März 2018 nicht mehr verfolgbar, da gemäß § 184c Abs. 2 und 4 StGB a.F. in Verbindung mit § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB Verfolgungsverjährung eingetreten war. Bei seinem Erlass waren – vorbehaltlich von Unterbrechungsmaßnahmen nach § 78 Abs. 1 StGB, für die jedoch nichts ersichtlich ist – alle eventuellen Taten nach §§ 184b184c StGB, die vor dem 13. März 2013 beendet waren, bereits verjährt.

Das nahm wiederum das Landgericht zum Anlass, den Durchsuchungsbeschluss zu konkretisieren:

Den Verdacht, dass der Beschuldigte über seine E-Mail-Adresse oder über andere digitale Kommunikationswege in nicht rechtsverjährter Zeit Dateien mit kinderpornographischem Inhalt anderen Nutzern zur Verfügung gestellt haben könnte, stützt sich auf die von dem gesondert verfolgten Empfänger der E-Mail vom 8. September 2009 beschriebene Funktionsweise der “Tauschbörsen”. Es handele sich – so das Landgericht – um besondere, nicht leicht zugängliche Plattformen, die auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruhten; bereits dies belege den Tatverdacht. Eine schwere Zugänglichkeit der Plattform folgt jedoch aus den Angaben des gesondert Verfolgten nicht. Woher das Landgericht seine Erkenntnisse über die nicht näher beschriebene Funktionsweise der Plattform Gigatribe bezieht, bei der es sich entgegen der Einschätzung des Generalbundesanwalts nicht um eine insgesamt illegale Tauschbörse handeln dürfte, erläutert es nicht. 

Dazu das Bundesverfassungsgericht, 2. Senat, 3. Kammer:

Die Durchsuchungsanordnung (§ 102 StPO) verletzt bei mangelnder Verhältnismäßigkeit und unzureichender Begründung eines Auffindeverdachts das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art 13 Abs 1, Abs 2 GG) – zudem Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch fachgerichtliche Bestätigung der Sicherstellung von Datenträgern trotz fehlenden Anfangsverdachts

Der angegriffene Durchsuchungsbeschluss vom 13. März 2018 wurde erst achteinhalb Jahre nach dem Versand der E-Mail vom 8. September 2009 erlassen.

Die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen setzen sich dennoch nicht ausreichend mit der Frage auseinander, warum auch mehrere Jahre nach dem Versand der E-Mail vom 8. September 2009 noch der Schluss darauf zulässig sein soll, dass sich der Beschwerdeführer weiterhin im Besitz von kinder- und jugendpornographischem Material befinde und mithin weiter Straftaten begehe. Diese Frage stellt sich nicht zuletzt unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten. Denn rechtfertigte die nicht näher begründete Annahme einer dauerhaften Störung der Sexualpräferenz auch nach Jahren einen Anfangsverdacht für die Begehung von Straftaten nach §§ 184b184c StGB, so könnten gegen den Betroffenen über lange Zeiträume hinweg Ermittlungsmaßnahmen ohne das Hinzutreten weiterer Verdachtsmomente angeordnet werden, was auf eine weitreichende Entgrenzung der Strafverfolgung hinausliefe. Vor diesem Hintergrund hätte es angesichts der besonderen Umstände des Falles einer eingehenderen Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme bedurft.

Fazit:

Als Beschuldigter sollte man sich nach einer Durchsuchung zeitnah mit einem Fachanwalt für Strafrecht in Verbindung setzen. Der Durchsuchungsbeschluss ist ein kompliziertes Konstrukt, welches erst nach eingehender anwaltlicher Prüfung akzeptiert werden sollte. Fehler passieren in der Praxis immer wieder und es ist die Aufgabe eines Rechtsanwaltes, die rechtsstaatlichen Anforderungen immer im Auge zu behalten.

Aktenzeichen: 2 BvR 31/19, 2 BvR 886/19

https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/bverfg/19/2-bvr-31-19.php

Weitere Informationen zum Thema Durchsuchung finden Sie bei uns auf der Homepage. Wir können nicht oft genug wiederholen, dass Strafverteidigung schon direkt bei der Durchsuchung beginnt. Machen Sie als Beschuldigter unverzüglich von Ihrem Schweigerecht Gebrauch. Geben Sie sich nicht der Illusion her, dass man gegebenenfalls über nette Gespräche mit den Polizeibeamten das Verfahren positiv beeinflussen könnte.

Anhand des geschilderten Falles können Sie sehen, dass manchmal ganz “banale” Fragen zum Thema Verjährung einen großen Einfluss auf das Verfahren haben. Verjährung ist ein Umstand, der nur all zu gerne von den Ermittlungsbehörden stiefmütterlich behandelt wird.